Wolf Bowig: CUBA 95

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Die Cuba-Serien von Wolf Böwig

Langsam löst sich Hell vom Dunkel, langsam entstehen vor unseren Augen Schattenbildervon Körpern und Gegenständen:

Verletzlich, voll anrührender Sinnlichkeit, vorbei an trotzigen Parolen aufblättrigem Mauerwerk, zieht es den jungen Boxer ins Dunkel. “La Esperanza”,“die Hoffnung”: Fotos von Böwig aus einem cubanischen Boxcamp.

Das gleissend-tropische Licht im Rücken, mit lässiger Konzentration die Schnürsenkeldurch die verzaubert leuchtenden Sportschuhe ziehend, wartet selbstverloren einfreundlicher Riese auf seinem Kampf.

Schattenbilder von magisch-melancholischer Schönheit.

Auf routinierten Gesinnungsschienen läuft die Berichterstattung werstlicher Medienüber Cuba: Bootflüchtlinge, Menschen mit kärglichen Lebensmittelrationen,Unterdrückung und Despotismus.

Stündlich geht die CNN-Kultur mit Schreckensmeldungen über die verlorengegebene Inselim karibischen Meer auf Sendung.

Überhitzte Utopien, einstige Hoffnungen auf ein Revolutionsmodell sind zerschollen anden harten Fakten von ökonomischer Depression, politischer Unterdrückung und Verfolgung.

Die Ikonen der Revolution, die auf Cuba Straßen und Plätzen allgegenwärtig dentristen Alltag ornamentieren, sind im Western längst zu Popstars mutiert. Jedergeschichtlichen Bedeutung entrückt, künden ihre Namen nun im Konsumalphabet derWeltgemeinschaft von der Umkehr der Verhältnisse: Che wie Chevignon.

In Cuba lauern gutgenährte Touristen in Che-T-Shirts, den zermürbten Einwohnern inden Warteschlange mit ihren Foto- und Videoapparate auf. “In den Wiedersprüchen liegendie Hoffnungen” lautete B. Brechts Motto im dänischen Exil.

Die Cuba-Fotos des deutschen Fotografen Wolf Böwig, drei formal wie inhaltlich höchstdifferente fotografische Perspektiven auf eine tropische Insel und seiner Menschen, lassenden Aufriß einer sozialen Wirklichkeit erkennen, die sich vorschneller Beurteilung undZuschreibung entzieht. Sie berichten aus einer sozialen Wirklichkeit, die wir im Westenuns angewöhnt haben, als gescheitert zu bezeichnen.

Keine vorgekochten Wahrheiten, keine verspielten Impressionen, keine Projektionsflächeleerlaufender Revolutionshoffnungen, die Bilder Wolf Böwig, seine Serien aus dem Boxcamp”La Esperanza”, den Hinterhöfen und Abseiten Havannas, und über diecubanischen Landarbeiter unterlaufen mit ihrer poetisch-knappen Bildschprache den binärenWahrehmungs-Code westlicher Medien.

Die Fotoarbeiten Böwigs sind imprägniert von einer uneitlen Zurückhaltung seines mitinternationalen Preisen honorierten formalen Könnens.

Sie gewinnen ihre Kraft durch die Geduld und die Konzentration die er seinemfotografierten Gegenüber schenkt. Menschen, die trotz des täglichen Überlebenskampfesnicht hinter der Maske des namenlosen Opfers verschwinden. In diesen Fotos sind dieMenchen nicht Chiffren vorgefertigter Wahmehmungen, sie sind nicht Opfer oder Täter, siestehen nicht für Sozialismus, nicht für Hoffnung oder Verzweiflun. Sie sind handelndeSubjekte mit Anmut und Würde.

Die von schwerer Arbeit gezeichnete Körper der Vacceros, strahlen nochimmer den Stolzüberwundener Sklaverherschaft aus.

Wolf Böwig häufiger Einsastz des Weitwinkels eröffnet den von ihm Fotografierteneinen Raum, in dem sie sich selbstbewußt als Individuen definiren können.

Das stockwerktief präzise Fallen des Waschwasser im Hinterhof beschreibt so densozialen Radius der putzenden jungen Cubanerin.

Monatelange vorsichtige Annäherungen an die Menschen und ihre Lebensbedingungen sindtypisch für sein arbeiten.

Zeit ist für ihn eine entscheidende Vorraussetzung einer, wahrhaftigen Fotografie. Dieum den Globus von einem Krisengebiet zum anderen jettenden Fotojournalisten, ihrerSensibilität durch Erfolgsdruck und Berufszynismus beraubt, immer auf der Suche nach demexclusiven Foto, übersehen des Wesentliche.

Diese Haltung verbindet Böwigs Fotos aus dem heutigen Cuba mit seinen anderenArbeiten. Fotoarbeiten zumeist aus den vergessenen Hinterhöfen der Macht, aus Regionen,die von kaum verklungenen Kämpfen und Kriegen gezeichnet, der Weltöffentlichkeit nurnoch spärliche Aufmerksamkeit wert sind. In den letzen Jahren waren es vor allemimmerwieder Fotoberichte aus dem zerfallenen und in Agonie liegenden Afganistan. Aber auchReportagen aus Algerien und den Ex-jugoslawische Krigsgebieten.

Den Namenlosen, den “Verdammten dieser Erde”, wie sie Franz Fanon einst mittrunkener Revolutionshoffnung bezeichnete, gilt die anteilnehmende brüderlicheAufmerksamkeit des Menschen und Fotografen Wolf Böwig. Die Wahhaftigkeit und Qualitätvieler seiner Fotos hat hier ihre Quelle.

Die cubanische Revolution war für die Entrechteten und Namenlosen angetreten,versprach ihnen eine menschlichere Zukunft, gab ihnen Hoffnung. So kann es auch für siekeine andere historische Berehtigung, keinen anderen Maßstab geben, als die Erfüllungdieser Versprechungen. Ganz unaufgeregt legen uns die intensiven Cuba-Fotos von WolfBöwig diesen Schluß nahe.

Klaus Blanc

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Wolf Böwig
Ggeboren in Hannover, am 28 März 1964
Studierte Mathematik und Philosophie/Berlin
Seit 1993 reportage Photographie